Die Ich – Entwicklung einer psychsomatisch reagierenden Patientin während ihrer stationären Psychotherapie
Andreas von Wallenberg Pachaly
Das milieutherapeutische Feld der dynamisch-psychiatrischen Klinik ermöglicht auch Patienten mit Ich-Krankheiten schwersten Ausmaßes eine nachholende Ich- und Identitätsentwicklung . Dabei stehen nicht besondere Techniken im Vordergrund , sondern die Einstellung der Therapeuten den Patienten gegenüber und die Bereitstellung einer lebensbejahenden Identitätsfindung ermöglichenden milieutherapeutischen Gemeinschaft . Besondere Bedeutung kommt bei der nachholenden Entwicklung defizitär ausgeprägter Ich-Funktionen dabei jeweils dem Identitätsaspekt zu . Am Beispiel der Ich-Funktion des Körper-Ichs , sowie der Körper-Ich-Identität diskutiert der Autor die Entwicklung einer schwer psychosomatisch erkrankten Patientin in der Interaktion mit der milieutherapeutischen Gemeinschaft der dynamisch-psychiatrischen Klinik . Die psychosomatische Reaktion der Patientin wird dabei im Rahmen der Theorie der archaisch Ich-Kranken (Ammon) als Folge einer unbewußt gewordenen pathologischen Erfahrung in der frühesten Kindheit und als Ausdruck eines erworbenen Defizits der Ich-Struktur verstehbar . Anhand eines Therapieablaufes stellt der Autor dar , daß für schwereIch-Störungen auf der Körperebene ein therapeutisches Setting angeboten werden muß , daß einerseits einem archaischen Agieren in Bereichen somato-psychischer Undifferenziertheit kommunikativ und verstehend begegnen kann , andererseits ein institutionelles und interpersonelles Beziehungsgeflecht zur Verfügung stellt , innerhalb dessen nachholend ein positives Erleben und verinnerlichen körperlicher und psychischer Identität möglich ist .
In meinem Referat möchte ich am Beispiel einer psychosomatisch reagierenden Patientin , die unter schweren Depersonalisationsgefühlen litt , eine detaillierte Darstellung der Ich- und Identitätsentwicklung im Rahmen einer dynamisch-psychiatrischen Klinik geben . Ich werde vor allem die nachholende Entwicklung der zentralen Ich-Funktion des Körper-Ichs diskutieren , unter besonderer Berücksichtigung der Rolle des Körper-Hilfs-Ichs und der in der dynamisch-psychiatrischen Klinik zur Verfügung gestellten therapeutischen Identität .
Schilder (1923) hat die Bildung des Körperschemas als einen historischen Prozeß beschrieben , in dem der Körper sich als biologisches Wesen transzendiert im Spannungsfeld zwischen zwei Kräfteordnungen , der biologischen Substanz und der sozialen Kräfte , die mit ja oder nein den Bedürfnissen des Menschen begegnen . Die Entwicklung des Körpers sah er im Zusammenhang mit der Entwicklung eines Ichs . Die Depersonalisation beschrieb Schilder (1924) als eine Störung des zentralen Ichs , das er in engem Zusammenhang mit dem Körperschema stehend verstand , welches er dynamisch-prozeßhaft konzipierte . In der Weiterentwicklung dieser Gedanken lieferte Federn (1913) eine detaillierte Beschreibung des Körper-Ichs , des Körper-Ich-Gefühls und der Körper-Ich-Grenzen , die er als Ergebnis eines innerpsychischen , zwischen verschiedenen Instanzen ablaufenden Prozesses der Ich-Besetzung verstand . Er hielt wie Schilder , Freud
folgend an einer „besonderen , organischen Disposition“ als Grundlage einer Störung auf der Körperebene fest .
Lichtenstein (1961) postuliert die Existenz einer Uridentität , eines ursprünglichen Lebensentwurfes , der für das In-Der-Welt-Sein eines Menschen lebenslang bestimmend bleibt . Uridentität entsteht nach Lichtenstein als Reaktion des Kindes auf die bewußte und unbewußte Erwartung der Mutter an das Kind . Insbesondere , da der Mensch nicht die angeborene Identität des Tieres hat , bedeutet die extreme Ausprägung der symbiotischen Beziehung des Kindes zur Mutter die zentrale Quelle für die Entstehung einer menschlichen Identität . Ammon (1974) hat die Genese und Möglichkeiten der Veränderung dieser Uridentität untersucht . Er fand , daß Störungen der Körperidentität nicht hereditär gegeben , sondern als Ausdruck eines pathogenen interpersonellen Geschehens psychodynamisch verstehbar und daher auch mit Hilfe einer adäquaten psychoanalytischen Therapie veränderbar sind . Die Uridentität versteht Ammon (1974) als die Matrix , aus der sich die Ich-Grenzen und allmählich auch die Körper-Ich-Grenze des Kindes entwickeln . Das Körper-Ich hat somit auch einen Identitätsaspekt . Störungen im Bereich der archaischen Körper-Ich-Entwicklung sind immer auch Identitätsstörungen , die psychodynamisch zugleich Schädigungen der Erfahrungsfähigkeit in interpersonellen Beziehungen implizieren . Für das Kind ist die Erfahrung seines Körpers im interpersonellen Raum zwischen sich und seiner Mutter geprägt vom Erleben und Verstehen seiner selbst durch die Mutter als Repräsentant der umgebenden Gruppe . Ein schwer defizitäres Körper-Ich muß daher das Ergebnis des mütterlichen Wahrnehmungsdefizits und ihrer Verweigerung verstanden werden , die konstruktiv aggressivem Schritte des Kindes in eigenem Recht wahrzunehmen und zu fördern . Der sich aus diesem Krankheitsverständnis der psychosomatischen Erkrankungen als archaische Identitätsstörung in den Ich- und Körper-Ich-Grenzen ergebende Ansatz einer psychosomatischen Technik unterscheidet sich grundsätzlich von allen Ansätzen , die ein psychophysiologisches oder triebpsychologisches Modell intraindividueller Konflikte zwischen verschiedenen psychischen Instanzen zu Grunde legen , indem er ein verinnerlichtes defizitäres Interaktionsschema voraussetzt . Für Patienten , die aufgrund des Schweregrades ihres archaischen Identitätsdefektes eine ambulante Therapie nicht in Anspruch nehmen können , besteht die Notwendigkeit eines therapeutischen Settings , in dem einem archaischen Agieren im Bereich somato-psychischer Undifferenziertheit , d.h. der Unfähigkeit , Bedürfnisse anders als körperlich auszutragen , verstehend begegnet wird . Ein interpersonelles und institutionelles Beziehungsgeflecht muß zur Verfügung stehen , innerhalb dessen nachholend ein positives Erleben körperlicher und psychischer Identität möglich ist .
Der destruktiven Aggression , d.h. dem archaischen Identitätsverbot des ursprünglichen , defizitären Identitätsentwurfes muß ein strukturiertes Milieu entgegengesetzt werden , das einen therapeutischen lebensbejahenden Identitätsentwurf vertritt . Die therapeutische Gemeinschaft im Rahmen einer dynamisch psychiatrischen Klinik , welche die gesamte aktuelle Lebenssituation umfaßt , stellt ein solches Setting zur Verfügung. Unter Anwendung eines differenzierten therapeutischen Spektrums , welches Gruppentherapie , Einzeltherapie , Milieutherapie , die Situation einer gruppendynamisch arbeitenden Großgruppensituation und eine Vielfalt informell strukturierter Kontaktmöglichkeiten , wie etwa beim Essen , auf Ausflügen , beim Sport beinhaltet , wird schwer Körper-Ich kranken Patienten das Wahrnehmen , Fühlen und freundliche , lustvolle Erleben ihres Körpers und seiner primären Ich-Funktionen wie der Motorik , der taktilen Wahrnehmung , des Gleichgewichtsinns und der visceralen Wahrnehmung ermöglicht . Zusätzlich stellt die dynamisch-psychiatrische Klinik einen mütterlichen Nährboden im Sinne der Urhöhle von Spitz dar , welche die gesamten biologischen Funktionen als auch psychologischen Äußerungen eines Patienten annimmt .
Als wir die 30jährige , verheiratete Patientin in stationäre Psychotherapie übernahmen , war sie schwer depressiv . Sie sprach monoton , ihre Mimik war spärlich und ihr Kopf schien eingemauert zwischen den hochgezogenen Schultern . Ihr staksend stelzender Gang kontrastierte mit ihrer schlanken , ansehnlichen Figur und ihrer hübschen Kleidung . Im Gespräch war sie unwirsch , und in einem bei der Aufnahme aufgenommenen TAT-Protokoll beschrieb sie sich als ein totes Kind , welches von der Mutter in deren Armen festgehalten wird .
Wir hatten die Patientin in unsere Klinik aufnehmen müssen , da sie seit dem ein Jahr zurückliegenden Tod ihrer Mutter , die ebenso wie ihr Vater vor 16 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben war , unfähig gewesen war , ihrer Arbeit als Sekretärin nachzugehen und nur noch völlig isoliert , in ihre Wohnung zurückgezogen , leben konnte .
Die Patientin wurde täglich von quälenden Kopf- und Nackenschmerzen geplagt , litt unter Trigeminusneuralgien , einer sie von Arzt zu Arzt treibenden Karzinophobie und hatte bereits mehrere gutartige Tumore exstirpiert bekommen . Sie litt an Vaginismus und erlebte jeden Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann als qualvoll . Die sich ihrer überfallartig bemächtigenden Depersonalisationsgefühle drückte sie in ihrer panischen Angst , verrückt zu werden oder den Boden unter ihren Füßen zu verlieren , aus . Damit verbunden waren ihre multiplen phobischen Symptome , ihre Straßenangst , ihre paranoide Angst vor Menschenmassen , kurz ihre Angst in der Welt zu sein , welche ihr das Verlassen ihrer Wohnung nur in Begleitung ihres Mannes möglich machte .
Im Aufnahmegespräch stellte die Patientin sich und das Beziehungsgeflecht ihrer Familie als eine Konfiguration defizitären Körper-Ich-Erlebens dar , indem sie den sie explodierenden Arzt mit ihren Klagen über ihre Schmerzen und der Schilderung ihrer Odyssee der vergeblichen Suche nach einem Arzt , der ihre Krankheit endlich definitiv hätte diagnostizieren können , zu überrollen versuchte . Als Persönlichkeitsmerkmale ihrer Eltern beschrieb sie zentral deren Krebskrankheiten . Eine differenzierte Wahrnehmung psychischer Aspekte konnte sie nicht mitteilen . Ihre Symptome stellte sie wie eine Wand zwischen sich und den sie aufnehmenden Arzt . Erst nach mühseligem Nachfragen konnte sie , völlig von ihrer Person abgespalten , biographische Daten vermitteln .
Die unheimlich ruhige , abwesend und verhärmt wirkende Mutter , hatte die Patientin , welche die älteste ihrer drei Töchter war , immer als eigensinnigen , böswilligen Satan bezeichnet und zeitlebens als hoffnungslosen Fall betrachtet . Einen freundlichen Kontakt hatte sie nie mit ihr aufgenommen , aber sie oft , wenn sie ihr zu lebendig und frech war , in den Nacken geschlagen , an derselben Stelle , an der die Patientin heute oft unerträgliche Schmerzen verspürte oder sie in den Keller weggesperrt . Als Ergebnis dieser Verweigerung freundlich emotionaler Zuwendung der Mutter ihr gegenüber und einer familiären Atmosphäre , welche charakterisiert wurde ein absolutes Schweigen bei Tisch , war die Patientin oft stundenlang in eine phantasierte paradiesische Traumwelt verloren , autistisch über Wiesen gelaufen und mußte sogar einmal von der Polizei gesucht werden . Als ihr Vater gestorben war , war sie von ihrer Mutter ins Internat gesteckt worden , da diese mit ihr “ nicht mehr fertig“ wurde . Dort begannen auch ihre psychosomatischen Beschwerden , wobei ihre Zahnschmerzen für sie die einzige Möglichkeit waren , das Internat kurzzeitig zu verlassen . Die Abgrenzungsfunktion ihrer somatischen Beschwerden gegenüber einer sie in ihren Armen festhaltenden , lebensverbietenden Mutter wird hier deutlich .
Zu ihrem sich in der Außenseiterposition befindlichen leistungsorientierten Vater spürte sie eine warme Beziehung , wenn sie bei seinen Dienstfahrten , auf die er sie manchmal mitnahm , schweigend neben ihm saß . Sprechen konnte sie mit ihm nur über seine Arbeit . Später stellte sie diese Beziehung immer wieder zu ihren Bürochefs her , für die sie gemäß den Erwartungen ihres Vaters auf der Grundlage sekundärer Ich-Funktionen außerordentliche Leistungen erbrachte .
Am Tage des Todes ihrer Mutter , die sie über Monate gepflegt hatte , war die Patientin erleichtert gewesen , sie fühlte sich befreit von einer lebensverbietenden Übermacht . Doch am Tag der Beerdigung , angesichts der endgültigen Trennung hatten ihre Symptome mit voller Wucht eingesetzt . Ein Leben in eigenem Recht war für die Patientin aufgrund eines lebenslang erfahrenen Identitätsverbotes nicht gestattet . Sie , die bislang das negative Selbst ihrer Mutter verkörpert hatte und sich nur als Gefühlslose , Böse , Nicht-Existente in der Beziehung zur Mutter angenommen gefühlt hatte , erlebte sich nun nur in der Beziehung zu ihren sie quälenden Symptomen als lebendig .
In der pathologisch symbiotischen Beziehung zu ihrem Mann , der zeitlebends eine kranke Mutter gehabt hatte , übernahm sie jetzt diese Position , wobei sie sich nun , wie in der Beziehung zu ihrer Mutter , als die Defiziente , Nicht-Lebende von ihm angenommen fühlte und damit , gemäß dem für sie gültigen Identitätsentwurf ihrer Mutter , auch in der Beziehung zu ihrem Mann die einzig ihr mögliche Ebene zwischenmenschlichen Kontaktes wiedergefunden hatte .
Zu Beginn ihrer stationären Therapie gestatteten wir der Patientin , das defizitäre Beziehungsmuster ihrer Primärgruppe in psychodynamischer Art innerhalb der gesamten Klinikgruppe darzustellen . In der morgendlichen Großgruppe saß sie versteinert , emotionsleer und verbreitete eine lähmende Stimmung . Sie vermittelte den Eindruck , gefühlsmäßig völlig abwesend zu sein , nur ihr Körper zeigte uns , daß sie da war . Jeden Versuch , mit ihr zu sprechen , trachtete sie durch ihren Nihilismus und ihr anhaltendes Mißtrauen , einen Hirntumor oder Multiple Sklerose zu haben , zunichte zu machen . Eisern hielt sie daran fest , daß niemand ihr helfen könne und versuchte , indem sie sich immer wider in eine neurologische Station verlegen lassen wollte , sich in ihre ursprüngliche , defizitäre Körper-Ich-Identität zu flüchten . Aber entgegen ihren Bemühungen , sich uns als inexistent , körperlich defizient anzubieten , sich aber als Mensch , der in eigenem Recht lebt , zu entziehen , hatten wir der Patientin bereits vor ihrer Übernahme in die stationäre Psychotherapie einen Lebensraum eingeräumt . In der Gruppe des therapeutischen Teams der Klinik hatten wir uns die Patientin anhand der vorliegenden Krankengeschichte und der Berichte über die Vorgespräche , die mehrere Kollegen mit ihr geführt hatten , vergegenwärtigt und ihr , indem wir uns entschlossen hatten , sie aufzunehmen , einen Platz gegeben . Der ganzen Patientengruppe war sie von uns vorgestellt worden , und gleich in der ersten Sitzung , als sie kam , hatte eine Reihe von Mitpatienten sie angesprochen und sich dafür interessiert , wer sie sei . In den ersten Wochen gestatteten wir ihr , einfach da zu sein , akzeptierten ihr Klagen über ihre Schmerzen , sprachen immer wieder ihre starre Körperhaltung an , vermittelten ihr aber in Abgrenzung gegen ihr defizitäres Körper-Ich , das sie immer wieder anbot , auch die positiven Aspekte , wie ihre geschmackvolle Kleidung und Frisur und ihren ansehnlichen Körper , die wir an ihr wahrnahmen . Dabei war es immer wieder nötig , uns zu distanzieren von unseren , durch sie ausgelösten massivsten Gegenübertragungsgefühlen von Wut , Ohnmacht , Hilflosigkeit und dem Drang , sie abzuschieben und uns zu vergegenwärtigen , was sie aufgrund ihrer Familiengeschichte bestrebt war herzustellen . Nur dadurch , daß in der Klinik eine fortwährende Analyse und ein gemeinsames Tragen dieser Gefühle stattfand , war es überhaupt möglich , ein Mitagieren mit den nihilistischen und destruktiven Anteilen der Patientin zu vermeiden und uns abzugrenzen , um immer wieder von neuem durch eine sich gegenseitig unterstützende Wahrnehmung Zugang zu gewinnen zu ihren konstruktiven Ich-Anteilen und uns die Frage zu stellen :“Was kann aus dieser Patientin werden ?“ Parallel dazu fand in der Gruppe des gesamten Klinikpersonals eine Bearbeitung unserer eigenen , durch die Patientin aktivierten Gefühle von Ohnmacht und Nihilismus , daß wir einer solchen Patientin ja doch nicht helfen könnten , statt .
Die in der Gruppe der Patienten manifest werdenden lebensverbietenden Aspekte bearbeiteten wir in täglichen Großgruppensitzungen . Das auf dem Hintergrund dieser täglich ausgetragenen Auseinandersetzung mit und Abgrenzung von identitätsverbietenden Identifikationen entstehende Milieu einer therapeutisch wirksamen Gruppendynamik ermöglichte es uns , die Patientin anfangs als einen versteinerten schmerzenden Körper anzunehmen , ohne sie wütend aufzugeben und konnten in Abgrenzung gegenüber ihrem bisherigen Erleben ihre positive Körperlichkeit wahrnehmen . Hinter ihrer abweisenden Haltung erspürten wir allmählich , und anfangs nur inselhaft punktuell , ein freundliches oder versteckt erotisches Lächeln , eine hilfreiche Geste , ein hübsches Kleid , eine schöne Frisur oder auch eine Körperhaltung, und einen Gesichtsausdruck , die Trauer und Anspannung verrieten . Je mehr wir die Patientin kennenlernten , desto liebenswerter wurde sie für uns . In der therapeutischen Gruppe konnte ich nun in Abgrenzung zu dem defizitären Körper-Ich-Erleben der Patientin immer mehr die anziehenden und konstruktiven Qualitäten ihrer Körperlichkeit vertreten und der Gruppe die durch sie ausgelöste Wut verständlich machen als die Aggression , mit der ihre Mutter jegliche ihrer konstruktiv aggressiven Lebensäußerungen zurückgewiesen hatte . Indem ich die Patientin als eine Frau wahrnahm und sie entgegen ihrem ursprünglich defizitären Entwurf körperlicher Identität anziehend , auch erotisch fand und sie mochte , ermöglichte ich der Gruppe die Internalisation eines Beziehungsschemas ihr gegenüber , indem sie immer wieder aus ihrem defizitären Körper-Ich-Erleben herausgerissen und mit ihrer anziehenden und liebenswerten Körperlichkeit und Menschlichkeit konfrontiert wurde . Immer dann , wenn der Patientin nicht gestattet wurde , sich in ihre alte defizitäre Körperidentität der somatisch und neurologisch Kranken zurückzuziehen und sie mit Wahrnehmungen ihres gesunden Körpers konfrontiert wurde , worauf sie anfangs mit Verleugnung , später mit Wut reagierte , boten wir ihr ein Stück psychischer wie körperlicher Struktur an , das sie allmählich internalisieren konnte .
In der Beziehung , die die Patientin nach einigen Monaten zu einem schwerkranken , an einer Leberzirrhose leidenden Mitpatienten aufnahm , in dem sie ihre kranke Mutter wiedererlebte , manifestierte sich ihr Gewinn an interpersoneller psychischer Struktur , der die körperliche Ebene überschritt . Während sie am Grab ihrer Mutter nur hatte lachen können und ihre Trauer und Angst vor Trennung in körperlichen Symptomen ausgedrückt hatte , brach sie jetzt , als der Patient in eine geschlossene Abteilung verlegt werden mußte in tiefes Schluchzen aus und zeigte uns ihren Schmerz . Erstmals in ihrem Leben im Schutz der sie umgebenden Klinikgruppe und einer Beziehung zu ihren Therapeuten sowie aufgrund der in der Gruppe zugewonnenen psychischen Struktur , konnte sie Trauer und Trennung fühlen und sich , in Abgrenzung zu ihrer Mutter , als lebendig erleben . Ihre im Anschluß daran aufkommenden symbiotischen Gefühle nach Wärme und Geborgenheit zeigte sie uns , indem sie sich in der morgendlichen Großgruppe immer mit angezogenen Beinen in einen mit Styropor gefüllten Sack setzte und den Eindruck vermittelte , sie rolle sich im Uterus zusammen , wobei ich ihr gegenüber das Gefühl bekam , sie müßte eigentlich erst noch geboren werden .
Um ihr eine weitere Abgrenzung von ihrer defizitären Körperidentität zu ermöglichen , forderten wir die Patientin nun auf , an Ausflügen der Klinikgruppe teilzunehmen . Zunächst versuchte sie noch , eisern an ihrem ursprünglichen Identitätsentwurf festzuhalten . Sie weigerte sich heftigst mitzukommen , da sie befürchtete , den Boden unter den Füßen zu verlieren und nicht fähig zu sein , spazieren zu gehen . Viel lieber wollte sie mit ihrem Mann nach Hause fahren und dessen Forderungen nach einer kranken Frau nachkommen . Als ich ihr gegenüber vertrat , sie könne sehr wohl laufen , beschimpfte sie mich wüst und konfrontierte mich mit der ganzen Aggression ihres Nihilismus und Defätismus .
Anfangs stakste sie unbeholfen , weggetreten und verloren inmitten der Patientengruppe . Doch im Unterschied zu ihren frühkindlichen , autistischen Spaziergängen war sie nun nicht allein , wurde , wann immer sie unsicher war , rechts und links von zwei Mitpatienten untergehakt und so , durch zwei Körper-Hilfs-Ichs angenommen und gestützt , wie ein kleines Kind von der Mutter an die Hand genommen und gehalten wird . Später , als sie ein sicheres Gefühl bekommen hatte , daß wir zuverlässig an ihrer Seite stünden , hatte sie die konkrete Stützung nicht mehr nötig und konnte immer dann in großen Schritten ausschreiten , wenn ein Therapeut neben ihr ging . Wir hatten ihr eine nachholende freundliche Symbiose auf der Körper-Ich-Ebene angeboten , die sie allmählich internalisieren konnte .
Bei diesen Ausflügen , wo die ganze Gruppe auch zum Schwimmen ging , hatten wir Therapeuten Gelegenheit , beispielhaft für die gesamte Klinikgruppe ihren Körper wahrzunehmen , ihr zu sagen , daß wir sie attraktiv und weiblich fanden und mit ihr darüber kommunizieren .
Indem ich diese bisher verborgenen Qualitäten ihrer Körperlichkeit wahrgenommen hatte , hatte ich die Patientengruppe unterstützt , ihre weibliche Identität anzunehmen und ermöglichte ein zwischenmenschliches Beziehungsschema , indem sie mehr und mehr als Frau wahrgenommen wurde . Sie erlebte , daß sie für männliche Mitpatienten begehrenswert wurde und fühlte , daß sie von ihren Therapeuten , wie Mitpatienten , als Frau gefordert wurde .
In der Interaktion mit der Klinikgruppe konnte sie diese Wahrnehmung ihres Selbst internalisieren und zu einem Bestandteil ihrer Ich- und Körper-Ich-Struktur machen . Als Ergebnis dieses Prozesses und als Ausdruck ihrer zunehmenden weiblichen Identität und ihrer fester werdenden Körper-Ich-Grenzen , setzte ihre seit Jahren ausgebliebene Periode wieder ein .
Diese Wiedergutmachung ihres defizitären Körperbildes im Schutze einer Gruppe , deren Grenzen allmählich zu ihren eigenen Ich- und Körper-Ich-Grenzen wurden und die für sie den Identitätsentwurf einer lebendigen , gefühlvollen Frau bereithielt , machte es ihr möglich , sich mit unserer Unterstützung abzugrenzen gegen ihr verinnerlichtes Lebensverbot , existent zu sein , auch gegen die Bedürfnisse ihres Mannes , den wir zu ambulanter Therapie motiviert hatten , eine kranke Frau zu haben . Sie konnte jetzt aufgrund der Internalisierung der lebensgewährenden Gruppenidentität , welche die Gesamtgruppe der dynamisch-psychiatrischen Klinik zur Verfügung gestellt hatte , von sich aus auf eine neu aufgenommene junge anorektische Patientin , die wie sie anfangs ihren Körper und ihre Sexualität leugnete , zugehen , vermochte sich emphatisch in sie einzufühlen , sie auch in ihre Arme zu nehmen und half ihr , ihren Platz in der Klinikgruppe einzunehmen . Sie grenzte sich durch diese konstruktive Symbiose , die sie dieser Patientin anbot , weiter von ihren eigenen Problematik ab , wobei wichtig war , daß sie in der direkten körperlichen Interaktion mit dieser Patientin ihren eigenen Körper als liebenswert und begehrenswert erfahren hatte und zugleich ihre eigenen Schwächen hatte annehmen können , aber auch , daß wir ihr emphatisches Verhalten und freundliches Zugehen auf die Patientin wahrgenommen und ihr dies auch kommuniziert hatten , was im krassen Gegensatz zu ihren Erfahrungen in ihrer Primärgruppe stand .
Nach diesem Erleben , wo sie körperlichen Kontakt im Gegensatz zu früher nicht als zerstörend und angstvoll , sondern als hilfreich und angenehm erlebt hatte , wurde es ihr auch erstmals möglich , schmerzfrei lustvollen Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann zu haben .
In der sich anschließenden Trennungsphase erlebte die Patientin in mir zunächst noch einmal ihr ursprüngliches Lebensverbot , gegen das sie sich nun aggressiv , schreiend und schimpfend abgrenzen konnte . Ich war es nun , der ihr verbot zu leben , sich eine Wohnung zu suchen oder eine Beziehung zu ihrem Mann aufzunehmen . Während sie anfangs ihrem negativen Identitätsentwurf aggressiv einen positiven therapeutischen entgegengesetzt hatte und der Gruppe beispielhaft eine Interaktionsebene positiver Erfahrung mit der Patientin vorgelebt hatte , nahm ich ihre auf mich gerichtete über ein nicht gelebtes Leben auf mich . Sie konnte nun ihre Wut verbal äußern und aufgrund der erfolgten Strukturierung zentraler und primärer Ich-Funktionen im interpersonellen Feld der Klinikgruppe ihre Gefühle der Trauer über die Trennung verbal und körperlich , aber unter Kontrolle ihres Ichs äußern und mußte sie nicht mehr autistisch und psychosomatisch ausdrücken .
In ihrer Gruppe schenkte sie allen zum Abschied eine Rose , umarmte jeden und sagte ihm , was er für sie bedeutet hatte . Nach ihrem Klinikaufenthalt entschloß sich die Patientin zu ambulanter Therapie und nahm eine qualifizierte Arbeit auf . Sie ist nun eine lebendige , freundliche Frau , die auf ihre Mitmenschen völlig verändert wirkt .
Am Beispiel dieser psychosomatisch reagierenden Patientin habe ich nachholende Ich- und Identitätsentwicklung auf der Körperebene dargestellt . Dabei wurde deutlich , daß es nicht darum ging , verschiedene defizitäre Aspekte interpretatorisch durchzuarbeiten . Wir mußten vielmehr eine Situation zur Verfügung stellen , in der wir ihr ein Erleben intakter , lebensbejahender , körperlicher und psychischer Identität ermöglichten , das sie dann allmählich als Teil ihrer eigenen Körper-Ich-Struktur internalisieren konnte .
Ammon (1974) hat die vermittelnde Funktion der Mutter-Kind-Symbiose während und nach der Schwangerschaft beschrieben , „in der die Mutter einerseits die Primärgruppe insgesamt repräsentiert und andererseits der Gruppe gegenüber die Bedürfnisse des Kindes vertritt . Nur wenn die Mutter fähig ist , die früher undifferenzierten körperlichen Äußerungen des Kindes als Organ- und Körpersprache zu verstehen , und die in dieser Sprache zum Ausdruck gebrachten Bedürfnisse und Gefühle adäquat zu beantworten , nur dann kann sie dem Kind eine gelingende Körper-Ich-Entwicklung im Sinne der Ausbildung einer Körper-Ich-Grenze und eines körperlichen Existenzgefühls ermöglichen , welches die Mutter dem Kind auf der Ebene des taktilen und Geruchskontaktes , aber sicher auch intrauterin vermittelt .“
In der Therapie stellte die dynamisch-psychiatrische Klinik ein umfassendes Milieu primärer Mütterlichkeit dar (Winnicott) , im Gegensatz zur defizitären Primärgruppe , wie analog für die Familiengruppe Pohl 1976 ausführte , indem die spezifischen Lebensbedürfnisse des Patienten wahrgenommen und befriedigt werden und ihnen innerhalb einer beschützenden Gruppe Gültigkeit verleihen wird . Dabei hatten wir die alte , defizitäre körperliche Identität der Patientin zwar anfangs angenommen , waren ihr aber mit unserem therapeutischen lebensbejahenden Identitätsentwurf entgegengetreten . Immer wieder vergegenwärtigten wir uns , was die Patientin aufgrund ihrer ursprünglichen Erfahrung herzustellen versuchte , Wut Nihilismus und Ohnmacht und setzten uns auf allen therapeutischen Ebenen mit diesen Gefühlen auseinander . Unser therapeutischer Identitätsentwurf ermöglichte es uns , ihre intakte , weibliche , motorisch funktionsfähige und auch anziehende Körperlichkeit wahrzunehmen und anzunehmen . Die dynamisch-psychiatrische Klinik war dabei der schützende rahmen , im Sinne eines Uterus , indem wir eine stetige Abgrenzung ihrer defizitären Körperidentität vornahmen und ihr im Sinne einer fortwährenden Wiedergutmachung eine identitätsgewährende Gruppenwahrnehmung und ein Gruppengefühl ihres lebendigen Körpers angeboten wurde . Diese Wahrnehmung und dieses Gefühl ihres Körpers wurde ihr mit Unterstützung ihres Therapeuten in einer Vielzahl von Situationen , in de Gruppe , bei Ausflügen , in der Beziehung zu ihren Therapeuten wie zu Mitpatienten vermittelt , so daß sie es Stück für Stück als Teil ihres Selbst erleben und als Teil ihrer Körper-ich-Struktur annehmen konnte . Eine therapeutisch entscheidende Aufgabe war es dabei , den ihr von der dynamisch-psychiatrischen Klinik entgegengebrachten Identitätsentwurf einer körperlich anziehenden gesunden Frau immer wieder im Beisein ihrer Mitpatienten ihrem ursprünglichen Identitätsverbot gegenüber zu vertreten und der Gruppe beispielhaft eine Beziehungsebene verbaler , averbaler oder körperlicher Art aufzuzeigen und vorzuleben , auf der es möglich war , ihr eine Wahrnehmung ihrer lebendigen körperlichen Identität zu vermitteln , und somit ihren Mitpatienten zu ermöglichen , in gleicher Weise auf sie zuzugehen . In Identifikation mit dem Therapeuten konnten ihre Mitpatienten dann eine nachholende Symbiose auf der Körper-Ich-Ebene mit ihr eingehen .
Der Therapeut selber wurde von einer schützenden Gruppe von Therapeuten und Mitarbeitern unterstützt , sich von seiner , aufgrund des Ausmaßes des archaischen Identitätsverbots der Patientin oft massivsten Gegenübertragungsgefühlen zu distanzieren , was ihm alleine unmöglich gewesen wäre und konnte deshalb ihr gegenüber stetig seine eigene therapeutische Identität wahren und sich gegenüber der destruktiven Aggression ihres ursprünglichen archaischen Identitätsverbotes durchsetzen .
Zusammenfassend gilt , daß für schwere Ich-Störungen auf Körperebene ein therapeutisches Setting angeboten werden muß , das einerseits einem archaischen Agieren in Bereichen somato-psychischer Undifferenziertheit kommunikativ und verstehend begegnen kann , andererseits ein institutionelles und interpersonelles Beziehungsgeflecht zur Verfügung stellt , innerhalb dessen nachholend ein positives Erleben und Verinnerlichen körperlicher und psychischer Identität möglich ist . Die Aufgabe der Therapeuten ist es , ständig eine milieutherapeutische Gemeinschaft weiterzuentwickeln , welche dem Patienten einen lebensbejahenden Identitätsentwurf anbietet . Die institutionelle Ebene der dynamisch-psychiatrischen Klinik stellt hierbei im reparativen Prozeß , die Matrix , im Sinne eines Uterus zur Verfügung , in der auf interpersoneller Ebene das Körper-Ich positiv erlebt und nachholend eine Ausbildung körperlicher und psychischer Strukturen möglich wird .
The Body-Ego Development of a Psychosomatically Reacting Patient as a Result of Psychotherapy in a Dynamic Psychiatric Hospital
Andreas von Wallenberg Pachaly
The author discusses the therapeitic process of psychsomatically reacting patient and the retrieval of body development with special emphasis on the therapeutic identity , made available by a dynamic psychiatric hospital .
Lichtenstein (1961) postulated the existence of a primary odentity that determines the being-in-the-world man , and defines it as the child`s reaction to the concious and unconcious expectations of his mother towards him .
Ammon (1974) understands primary identity as the matrix out of which the child`s ego- and body-ego-boundaries develop . For the child , the experience of his body is determined by being experienced and understood by the mother as the representative of the primary group . A severely deficient body-ego , therefore , has to be understood as the outcome of the mother`s deficit of percieving her child and her refusal to accept and faciliate any of his constructive aggressive moves .
The therapeutic community developed by Ammon within the framework of a dynamic psychiatric hospital , covers the patient`s entire present living-situation . It makes available a therapeutic setting for severely ill psychsomatic patients which counters their original deficient life-denying scheme by a therapeutically structured life-affirming milieu .
At the time of hospitalization the 30-year-old patient had torturing head- and neckaches , she suffered from trigeminus neuralgic , from vaginism , and was tormented by fear of cancer . Ever sincs the death of her mother she had been unable to work and had isolated and withdrawn herself completely into her apartment .
Her mother had never taken up friendly body contact with her , however , when she thoeght her daughtertoo lively she had beaten her into the neck , Where until today the patient often felt unbearable pain . With her achievement-oriented father , the patient could only talk about his work .
At the beginning of her therapy the patient sought to destroy any attempt to talk to her by nihilism and her persevering suspicion that she got a tumor of brain . Rigidly she insisted that nobody would be able to help her and tried to take refuge into her deficient body-identity .
The milieu of therapeutically effective group dynamics , which had been created in the daily process of working through the identity-denying aspects in the group of the staff as well as of the patients , made it possible to accept the patient . The accepting attitude of the therapist influenced the whole group and enabled the patient to internalize the new experience . Thus the group had offered her a reparative , friendly symbiosis on the body-ego-level . In this process the dynamic psychiatric hospital represented a comprehensive milieu of primary motherhood in which , in opposition to the deficient primary group , the specific needs of the patient were percieved and satisfied . In this environment there could be attained a steady deliniation of her deficient body-identity , she was offered an identity-approving group-perception and group-feeling of her female body , which she could accept as part of her body-ego-structure .